Stellungnahmen
Politische Ränkespiele bis zuletzt! - Lesen Sie warum die PPR 2.0 gerettet werden muss….
Zuerst ein Antrag von Bayern im Gesundheitsausschuss des Bundesrates zur Blockierung der PPR 2.0-Einführung und dann ein „scheinbar“ vernichtendes Urteil des Normenkontrollrates über die Pflegepersonalbemessungsverordnung (PPBV).
Geplante PPR 2.0 Umsetzung in der Pflegepraxis:
Eines ist klar, wenn die PPR 2.0 kommt wird diese künftig aus der elektronischen Pflegeprozessdokumentation automatisiert ohne einen Einstufungsaufwand der Pflegenden am Bett realisiert werden. Das ist bereits bei einigen Software-Herstellern möglich und könnte in Kürze auch bei allen anderen Herstellern Realität sein. Hierzu braucht es aber Rechtsverbindlichkeit, dass die PPR kommt - sowohl für die Kliniken, welche ein PPR-Modul bestellen müssten, als auch für die Hersteller, damit diese in die Umsetzung investieren.
Seien wir doch mal ehrlich – bisher hat sich kaum ein Entscheidungsträger in den Kliniken für eine gute Software-Umsetzung zur optimierten Pflegeprozessdokumentation interessiert. Die Pflege hinkt in der digitalen Umsetzung oft hinterher, obwohl das zu einer massiven Entlastung führen könnte.
Warum Lobbyisten die PPR 2.0 stoppen wollen!
Mit den über die Pflegeprozessdokumentation verfügbaren Daten, wie z. B. das pflegerische Rationierungsverhalten (als Nebenprodukt der PPR 2.0 Ausleitungen) hätten sowohl Pflege als auch Politik erstmals eine „Daten-Grundlage“ um Entwicklungen der Profession Pflege voranzutreiben und politische Entscheidungen datenbasiert zu treffen.
Jedoch scheint es gegen diesen Fortschrittsgedanken politische Gegner zu geben, die unter dem Pseudodeckmantel der Bürokratie diese Entwicklung torpedieren wollen.
Warum die Aussagen des Normenkontrollrates hinken:
Zunächst ein Zitat!
„Der NKR bewertet auf Grundlage des Erfüllungsaufwandsleitfaden die Mehrbelastung in Höhe von 219,6 Mio. Euro als jährliche Bürokratiekosten, die in den Bürokratiekostenindex einfließen.“
Drei Gründe, warum vorgetragenen Berechnungsgrundlagen hinterfragt werden können:
- Eine Pflegeprozessdokumentation ist zwingend erforderlich, um die Patientensicherheit und den Pflegeprozess in der Klinik in einem Team zu gewährleisten und gehört als Arbeitsmittel zur Pflegearbeit. Basierend auf dieser zwingend erforderlichen Pflegeprozessdokumentation, welche bereits in Richtlinien und durch Studien gefordert werden (Medizinischer Dienst der Spitzenverbände der Krankenkassen (MDS), 2005; Müller-Staub et al., 2007; Rappold & Aistleithner, 2017) um eine adäquate Steuerung und Evaluation des Pflegeprozesses zu gewährleisten ist die Datengrundlage für eine elektronische Ausleitung der täglichen PPR 2.0 Einstufung. Eine Regeldokumentation, welche den nationalen und internationalen Standards entspricht, reicht vollkommen aus, um die PPR regelhaft aus der elektronischen Pflegeprozessdokumentation auszuleiten. Es ist pflegefachlich fatal und falsch die Regeldokumentation der Pflege als „Bürokratieaufwand“ zu deklarieren!
- Wenn die PPR 2.0 automatisiert aus der Regeldokumentation der Pflege und dem Behandlungsteam ausgeleitet werden kann, entsteht kein zusätzlicher Zeitaufwand von 3 bis 6,5 Minuten pro Tag und Patient. Es ist sehr erstaunlich, dass die Zahlen der KPMG bezogen auf die Einstufungszeiten herangezogen wurden, obwohl klar ist, dass es sich bei diesen Zahlen um Zeitwerte, welche im Rahmen der Forschungsarbeit entstanden sind, handelte. Um die Forschungsarbeit zu realisieren, wurde eine kurzfristige Webplattform entwickelt und angeboten, um die Einstufungsergebnisse der Kliniken einzutragen. Also eine zusätzliche Doppeldokumentation. Aus der jeweiligen Regeldokumentation mussten die Pflegepersonen durch Sichtung die Einstufungskriterien bewerten und in die Web-Plattform eintragen. Dieses Vorgehen ist maximal im Rahmen eines Forschungsprojektes und als kurze Übergangszeit vertretbar, kann aber nicht als Dauertatbestand einer Berechnung zum jährlichen Erfüllungsgrad zugrunde gelegt werden. Denn die PPR 2.0 muss, wie bereits dargelegt, künftig automatisiert aus der Regeldokumentation gezogen werden. Damit ist die PPR 2.0 auch immun gegen eventuelle Manipulation.
- Wird die PPR 2.0 automatisiert aus der Regeldokumentation ausgeleitet, ist auch das gesamte Pflegepersonal nicht in der Methode der PPR zu schulen. Somit sind die ermittelten 15 Mio. Euro als einmalige Erfüllungsaufwand für die Schulung zu hinterfragen.
Unsere Überlegungen des jährlichen Erfüllungs-Aufwandes zur Umsetzung der PPR 2.0:
- Zusätzliche Datenauswertung durch das InEK zu den bereits realisierten PpUGV-Datenauswertungen. Dieser zusätzliche Aufwand kann basierend auf den Erfahrungen des InEK sicher genau beziffert werden. Im Referentenentwurf zur PpUGV wurde angegeben, dass die PpUGV keinen zusätzlichen Erfüllungsaufwand erzeugt. Der über die PPR hinzukommende Auswertungsaufwand liegt damit mit Sicherheit unter 1 Mio. Euro.
- Zusätzlicher Datenlieferungsaufwand in den Kliniken. Auch hier dürfte der zusätzliche Aufwand, das Ausleiten der Einstufungsergebnisse sowie das Zusammenführen der Daten mit den Pflegepersonaldaten und ggf. kleineren Aufbereitungsaufgaben unter einem Tag Arbeitsaufwand im Pflegecontrolling liegen, sobald die Software-Systeme die entsprechenden Daten in der erforderlichen Qualität liefern. Dieser Aufwand entsteht dann entsprechend den Ausleitungshäufigkeiten, die in der Rechtsverordnung gefordert werden. Da die PPR 2.0 Einstufung automatisiert aus der Regeldokumentation der Pflege ausgeleitet wird und auch die Personaldaten in den Kliniken verfügbar sind, dürfte der zusätzliche jährliche Aufwand hier gegenüber dem Nutzen eines aussagekräftigen Pflegecontrollings sehr gering sein und bleiben.
- Zusätzlicher Dokumentationsaufwand des Pflegepersonals am Bett. Da die Digitalisierung und die Einführung einer elektronischen Pflegeprozessdokumentation gesetztes Ziel des BMG sind, sind nicht mal die einmaligen Aufwände für die Einführung einer elektronischen Pflegeprozessdokumentation der PPR als Instrument anzulasten. Ein jährlicher zusätzlicher Mehraufwand entsteht nicht.
- Zusätzliche jährliche Kosten der Kliniken für das Spezial-Modul PPR-2.0 Ausleitung. Da es sich um eine „kleine“ Zusatzfunktion in den Softwareprodukten handelt ist der zusätzliche Aufwand pro Klinik eher als gering einzuschätzen. Diese Anschaffung ist einmalig und eine jährliche Wartung und Update des Moduls liegt in der Regel unter 1000 € je nach Hersteller und Größe der Klinik. Alle Elemente, die in der Pflegeprozessdokumentation benötigt werden wie z.B. Assessments, Pflegeplan, Berichtswesen, Fieberkurve usw. sind Bestandteil der Regeldokumentation. Die Aufwände für die Module zur Pflegeprozessdokumentation sind nicht der PPR 2.0 anzulasten, denn diese sind Arbeitswerkzeug zur Steuerung des Pflegeprozesses.
- Die IST-Personalbesetzung, welche vom Normenkontrollrat aufführt, sind ebenfalls zu hinterfragen, da die Ist-Personalbesetzung bereits Lieferbestand an das InEK ist. Hier wird auf ein etabliertes Verfahren zurückgegriffen, welches in der PPR-2.0 Kalkulation ebenfalls genutzt wird. Sowohl das Verfahren als auch die Datenlieferung sind bereits etabliert und müssen nur geringfügig auf die sogenannten „nicht-pflegesensitiven Bereiche“ ausgeweitet werden.
Zusammengefasst:
Die ermittelten Summen, die vom Normenkontrollrat aufgeführt werden, sind somit deutlich zu hoch gegriffen und setzt auf fragwürdigen Daten-Grundlagen. Der jährliche Erfüllungsaufwand liegt deutlich unter der geschätzten Summe, welche der Kontrollrat zu Grunde gelegt hat.
Warum wir die Rechtsverordnung zur PPR 2.0 jetzt brauchen!
„Der NKR weist darauf hin, dass die Voraussetzungen für einen flächendeckenden digitalen Regelungsvollzug noch nicht gegeben sind.“- Diese Aussage ist richtig! ABER
Ohne Rechtsverordnung und Planungssicherheit werden sich die Softwarehersteller mit der Umsetzung der automatisierten PPR 2.0 weiter zurückhalten. Nur wenige Hersteller haben bisher das Risiko der Umsetzung realisiert.
Wir brauche auch in Deutschland künftig Daten der Pflege, um Pflegeforschung voranzutreiben, sinnvolle Skill- und Grade-Mixes zu ermitteln und nicht zuletzt, um die Sicherheit von Patientinnen und Patienten zu erhöhen. International ist z.B. belegt, dass die Rationierung pflegerische Leistungen einen massiven Faktor für Patientengefährdungen darstellt, (J. E. Ball et al., 2018; Jane E. Ball et al., 2014; Stemmer & Schubert, 2019). Zudem gibt es in der Pflegeforschung Belege dafür, dass eine adäquate Pflegeprozessdokumentation sich minimierend auf Rationierungsverhalten auswirkt (Köppen & Busse, 2019) und damit z. B. das Mortalitätsrisiko sinkt. Hier haben wir einen blinden Fleck in der Versorgung in Deutschland und es ist fast schon fahrlässig diesen Indikator im Risikomanagement nicht zu erheben. Durch die Förderung der Digitalisierung durch die PPR 2.0-Einführung werden sich hier deutliche positive Nebeneffekt für die Pflegeberufe einstellen, die längst überfällig sind.
Wenn die PPR 2.0 nicht zeitnah kommt und die damit verbundene Digitalisierung weiter stockt…