Stellungnahmen

Expertenkommission Pflegepersonal im Krankenhaus 2017

Wird die pflegerische Versorgung in deutschen Krankenhäusern nun besser?

Mit Spannung werden die Resultate der einberufenen Expertenkommission des BMG zur Verbesserung der Pflegepersonalsituation in deutschen Krankenhäusern erwartet. Wie stellen sich diese nun im Ergebnis dar?

Verbesserte Abbildung und Erlöswirksamkeit der Pflege im G-DRG-System

Die verbesserte Abbildung von Patienten mit einem hohen Pflegebedarf wurde bereits parallel zu der Tätigkeit der einberufenen Expertengruppe im G-DRG-System 2017 umgesetzt und werden weiterhin fortgeführt. Hierzu zählen die seit 2017 hinzugekommene Gruppierungsrelevanz des OPS 9-20, die CCL-Relevanz von ICD-10-Schlüssel, welche eine motorische (U.50*) und kognitive (U.51*) Funktionseinschränkung beschreiben, sowie die ab 2018 erwartete Erlösrelevanz des OPS 9-984, welcher über die Pflegegrade die Schwere der Pflegebedürftigkeit beschreibt. Mit den bereits umgesetzten Punkten sollen vor allem die sachgerechte Abbildung und Vergütung von Patientengruppen mit einem hohen pflegerischen Aufwand sichergestellt werden. Das pflegerische Leistungsgeschehen wird mit diesen Schritten in der Folge deutlich stärker erlösrelevant im G-DRG-System.

Festlegung von Personaluntergrenzen in pflegesensiblen Bereichen

In einem weiteren Punkt konnten sich die Teilnehmer der in 2015 einberufenen Expertenkommission ebenfalls einigen. „Zur Sicherstellung der Qualität in der Krankenhausversorgung werden die Vertragsparteien auf Bundesebene (DKG, GKV-SV unter Beteiligung der PKV) gesetzlich beauftragt, geeignete Personaluntergrenzen in pflegesensitiven Bereichen, unter Einbeziehung der Intensivstationen und der Besetzung im Nachtdienst verbindlich festzulegen.“ (Gröhe et al., 2017, S. 2) Die Vereinbarungen sind bis Juni 2018 mit praktischer Umsetzung ab Januar 2019 zu treffen. Zudem müssen Krankenhäuser ihre Personalausstattung durch Bestätigung eines Wirtschaftsprüfers ausweisen. Bis 2022 sind die festgelegten pflegesensitiven Bereiche und die Wirkung der Personaluntergrenzen zu evaluieren.

Fortschreibung des Pflegestellenförderprogramms (330 Millionen Euro pro Jahr)

Das von 2016 bis 2018 verabschiedete Pflegestellenförderprogramm im Umfang von 330 Millionen Euro pro Jahr wird ab 2019 fortgeschrieben. Die Mittel werden ab 2019 im jetzigen Pflegezuschlag von 500 Millionen Euro aufgehen und in der bisherigen Logik verteilt. So wird der Pflegezuschlag ab 2019 von 500 Millionen Euro auf 830 Millionen Euro ansteigen. Die krankenhausindividuelle Verteilung der Mittel für den Pflegezuschlag soll weiterhin vom Anteil der Personalkosten des einzelnen Krankenhauses für das Pflegepersonal an den Personalkosten aller allgemeinen Krankenhäuser für das Personal abhängen. Damit werden Kliniken mit einem „besseren“ Pflegepersonalschlüssel mehr Fördermittel erhalten. Für die Berechnung der Fördermittel in 2017 sind die Personalkosten des Jahres 2015 entscheidend. Im Durchschnitt liegt der Pflegezuschlag bei etwa 1.730 € pro Pflegevollkraft im Jahr (Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di Fachbereich Gesundheit, 2016).

Schritte in die richtige Richtung – Nachbesserungen sind allerdings zu empfehlen!

Neben den eingeleiteten Schritten, welche mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer leichten Entlastung führen können, sind zwingend weitere Schritte zur nachhaltigen Verbesserung der pflegerischen Versorgungsqualität zu veranlassen.

Aktuelle Problemstellung – es fehlen Rahmenbedingungen in der Pflege, um ihre Wirkungskraft entfalten zu können

Implizite Rationierung von Pflegeleistungen in deutschen Kliniken ist an der Tagesordnung, der Pflegeberuf gehört zur Kategorie der unattraktiven Berufsbilder bei Schulabgängern und die Zahl der Pflegepersonen, die den Beruf altersbedingt oder vorzeitig aus anderen Gründen verlassen, steigt stetig. Eine evidenzbasierte Pflege findet so gut wie nicht statt. Täglich wird gerade bei vulnerablen Patientengruppen oftmals am Pflegebedürfnis der Betroffenen vorbei gearbeitet. Das beginnt bereits häufig bei der fehlenden Wahrnehmung der gegebenen Problemlagen, der Nichtumsetzung des pflegediagnostischen Prozesses und damit der fehlenden Grundlage für die pflegerische Entscheidungsfindung. Ursache sind zum einen die nicht ausreichende Pflegepersonalausstattung der Einrichtungen, aber auch die mangelnde Verortung pflegefachlich therapeutischer Kompetenz, eigener Gestaltungsspielraum der professionell Pflegenden (wie z. B. das Verordnen von pflegetherapeutischen Therapien, Steuerung der Versorgungsforschung, Projekte zur Umsetzung evidenzbasierter pflegerischer Konzepte).

Was ist zu tun, um künftig die Patientensicherheit zu gewährleisten und Pflegepersonen für den Beruf zu begeistern?

  • Sicherstellung der Aushandlung adäquater Personalmindestbesetzungsvorgaben. Es ist zu befürchten, dass aufgrund der fehlenden Datenlage zur Beurteilung des tatsächlichen Bedarfs an Pflegepersonal falsche Rückschlüsse gezogen werden könnten.
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[Bedenklich ist, dass ein Aushandlungsprozess von Personalmindestbesetzungen ohne genaue Kenntnisse der aktuellen Versorgungsqualität und bestehender Defizite sowie einer fehlenden Definition eines gesellschaftlich akzeptierten pflegerischen Qualitätsniveaus vonstattengehen muss. Daher sind zwingend flankierende Maßnahmen zur Verbesserung der Datenlage als Grundlage des Entscheidungsfindungsprozesses einzuleiten. Hierzu gehören u.a. die Etablierung von Qualitätsindikatoren, bundesweit vergleichbarer Pflegepersonalkennziffern in Bezug auf die Patienten zu Pflegepersonalrelation sowie eine hierzu in Bezug gesetzte Kennziffer bezogen auf die pflegerische Fallschwere. Gerade die aktuelle Übersicht über Pflegeperson-zu Patienten-Relation (Nurse-to-Patient Ratios) in anderen Länder zeigt, dass die Festlegung von Mindeststandards nicht das Patentrezept sind (Simon & Mehmecke, 2017). Generell wird es eine große Herausforderung werden, pflegesensible Bereiche zu definieren. Zudem bleibt der Mehrbedarf an Pflegepersonal, welcher durch eine inhaltliche Verbesserung pflegerischer Arbeit benötigt wird aktuell unsichtbar, da das zu erreichende Qualitätsniveau nicht definiert ist. Aktuell arbeiten Pflegende häufig am Patientenbedürfnis vorbei, die Bedarfslage wird nicht systematisch erhoben und eine evidenzbasierte Pflege, Patientenedukation usw. finden kaum statt.]

  • Qualitätsoffensive pflegerische Versorgung. Die Etablierung von bundeseinheitlichen pflegesensitiven Qualitätsindikatoren ist eine zentrale Bezugsgröße, wenn über Pflegepersonalstellen verhandelt werden soll.
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[Die Etablierung von bundeseinheitlichen Qualitätsindikatoren für alle pflegerelevanten Sektoren ist zu empfehlen. Diese Maßnahme setzt Anreize für Kliniken, Rahmenbedingungen für eine am aktuellen Pflegefachwissen orientierte pflegerische Versorgungsqualität zu schaffen und umzusetzen. Die Installation von pflegesensitiven Indikatoren ist zwingend, um zu einer möglichst akkuraten Beurteilung zu kommen, wieviel Pflegepersonal in den verschiedenen Versorgungsbereichen benötigt wird, um eine adäquate pflegerische Versorgung gewährleisten zu können. Diese Forderung stützt sich auf der Tatsache, dass es international gegenwärtig keinen Goldstandard für eine adäquate Pflegepersonalstellenbemessung gibt und ein Aushandlungsprozess mit den Stakeholdern ohne ein Wissen über erwartbare Konsequenzen auf Patientensicherheit und Qualität der Versorgung ethisch bedenklich und mit ökonomischen Risiken verbunden ist. Zentrale Qualitätsindikatoren zur pflegerischen Versorgung sollten kontinuierlich aus den Pflegeprozessdaten und den (elektronischen) Fallakten der Patienten gewonnen werden. Hierdurch könnten Auswirkungen von Pflegepersonalveränderungen bezüglich Skillmix, Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen sowie der Patienten-Pflegepersonalrelation schnell identifiziert werden. Die Auswahl der pflegerischen Outcome-Indikatoren zur Einschätzung der Pflegequalität soll sich zunächst an den bereits bekannten und erprobten Indikatoren der Pflegewissenschaft orientieren (Wieteck & Kraus, 2016).]en.

  • Schritte zur Steigerung der Attraktivität der Pflegeberufe – Pflege braucht Eliten am Bett! Wird der Pflegeberuf nicht deutlich in der Attraktivität gesteigert und erhält die Profession keinen Gestaltungsspielraum, evidenzbasiertes Wissen anzuwenden, wird der Pflegepersonalnotstand weiter zunehmen und die Versorgung nicht gesichert sein.
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[Die Schaffung von Rahmenbedingungen ist zu fördern, welche es erlauben, Pflegenden mit einem akademischen Abschluss ihr Wissen auf Station anwenden zu können. Ein Beispiel hierfür könnte in einer Freistellung vom Stationsalltag und dem Auftrag bestehen, die aktuelle Studienlage zum eigenen Fachbereich oder einer aktuellen Fragestellung im pflegerischen Team zu sichten und die Konzepte in die Pflegepraxis zu übertragen. Ziel ist es dabei, langfristig eine evidenzbasierte Pflege zu fördern und Strukturen zu schaffen, welche für Abgänger aus pflegerischen Studiengängen berufliche Optionen eröffnen, weiterhin am „point of care“, d.h. in der direkten pflegerischen Versorgungspraxis, tätig zu sein. Ebenso könnten hier wertvolle Forschungsarbeiten zur Weiterentwicklung der pflegerischen Versorgungskonzepte geleistet werden. Fallkonferenzen und Pflegevisiten sind zwingend zu realisierende Arbeitsmethoden, um bei zunehmend komplexer werdenden Fallsituationen eine evidenzbasierte pflegerische Versorgung realisieren zu können (Wieteck, 2016).]

  • Neuausrichtung pflegerischen Handelns und Sicherstellung einer evidenzbasierten Pflege. Zentrale Überlegungen zur Attraktivitätssteigerung und Grundlage der Qualitätsverbesserung und Steigerung der Patientensicherheit.
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[Eine Neuausrichtung pflegerischen Handelns ist zwingend erforderlich, um eine evidenzbasierte Pflege zu realisieren, Patientenedukation und gesundheitsfördernde Maßnahmen zu etablieren sowie die Professionalisierung der Pflege zu fördern. Auch die Entwicklung neuer Versorgungskonzepte zur Bewältigung künftiger Herausforderung ist zu forcieren. Die systematische Umsetzung des pflegediagnostischen Prozesses ist eine zentrale Grundlage im Rahmen einer Neuorientierung pflegerischen Handelns und Ausgangslage jeder evidenzbasierten, pflegerischen Entscheidungsfindung. Zudem ist die Neuausrichtung pflegerischen Handelns eine zentrale Variable im Kontext der Attraktivitätssteigerung der Pflegeberufe. (Wieteck, 2016)]

Zusammenfassend empfehlen wir als Fachgesellschaft Profession Pflege, zum einen die bereits eingeleiteten Schritte (Stärkung der Pflegeleistung im G-DRG-System, Anreize für aktivierend-therapeutische Pflegeleistungen durch Vergütungsstrukturen, Festlegen von Mindeststandards in kritischen Bereichen usw.) systematisch weiterzuentwickeln und zu befördern. Zum anderen muss sich dringend der inhaltlichen Ausgestaltung der pflegerischen Arbeit im Krankenhaus gewidmet werden. Hier liegt der Schlüssel für die „Unattraktivität“ des Pflegeberufes. Wir brauchen künftig Eliten am Bett, um eine etablierte pflegerische Versorgungsforschung und die Anforderungen der sich verändernden Bevölkerungsstrukturen bewältigen zu können. Professionelle Pflege benötigt Rahmenbedingungen, um eine evidenzbasierte, ethisch vertretbare und patientenorientierte Pflege anbieten zu können. Diese Rahmenbedingungen sind derzeit sowohl quantitativ als auch qualitativ nicht gegeben.

▼ Literatur

Gröhe, H. et al. (2017). Schlussfolgerungen aus den Beratungen der Expertinnen- und Expertenkommission „Pflegepersonal im Krankenhaus“ Berlin 7. März 2017. Retrieved from https://www.station24.de/documents/10138/129771/Abschlussbericht_Pflegekommission/a826d209-32c8-428f-b3a8-f73d71d575fb (Accessed: 07.03.2017).

Simon, M. & Mehmecke, S. (2017). Nurse-to-Patient Ratios. Ein internationaler Überblick über staatliche Vorgaben zu einer Mindestbesetzung im Pflegedienst der Krankenhäuser. Working Paper Forschungsförderung. Retrieved from http://www.boeckler.de/pdf/p_fofoe_WP_027_2017.pdf (Accessed: 09.02.2017).

Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di Fachbereich Gesundheit, S. D., Wohlfahrt und Kirchen. (2016). Handlungshilfe für betriebliche Interessensvertretungen Pflegestellen-Förderprogramm. Retrieved from https://gesundheit-soziales.verdi.de/++file++56b8a8fbba949b06810001bd/download/Handlungshilfe%20Pflegestellen-Foerderprogr-V1.1.pdf (Accessed: 07.03.2017).

Wieteck, P. (2016). SACHVERSTÄNDIGENEINSCHÄTZUNG Die Einschätzung gibt einen aktuellen Überblick über die angespannte Pflegepersonalsituation in deutschen Einrichtungen der Gesundheitsversorgung sowie den aktuellen Versorgungsdefiziten. Verschiedene Lösungsansätze zur Personalsituation, Personalbemessung und „Neuausrichtung“ der pflegerischen Inhalte zur Attraktivitätssteigerung werden vorgestellt. Retrieved from http://www.bundestag.de/blob/482792/9b75a614f406cb1546ce3e6bfb2e871c/18_14_0221-5-_gute-arbeit---gute-versorgung_esve-wieteck-data.pdf (Accessed: 28.12.2016).

Wieteck, P. & Kraus, S. (2016). Personalbedarf Pflege. Sektorenübergreifende Analyse der Pflegesituation und ihre Bemessungsgrundlagen mit Handlungsempfehlungen. Kassel: RECOM GmbH.

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Zuerst ein Antrag von Bayern im Gesundheitsausschuss des Bundesrates zur Blockierung der PPR 2.0 Einführung und dann ein „scheinbar“ vernichtendes Urteil des Normenkontrollrates über die Pflegepersonalbemessungsverordnung (PPBV) - Warum die PPR 2.0 trotzdem gerettet werden muss!